Kolumbien von A wie Arepa bis Z wie Zu-Spät-Kommen
Ein Reisebericht der Bratschengruppe
An einem eisigen Dezember-Morgen machte sich eine Gruppe abenteuerlustiger JOH-Mitglieder – ebenso getrieben von der Liebe zur Musik wie von der Liebe zur Gefahr – auf den Weg, ein fernes Land jenseits des Meeres zu entdecken. Was folgte, war ein zweiwöchiger Rausch der Leidenschaft, bei dem nicht nur Schweiß, sondern auch Tränen der Verzweiflung und das eine oder andere Bier flossen.
Um der geneigten Leserin, und natürlich auch dem geneigten Leser, begreiflich zu machen, auf welch (im positiven Sinne) höllischen Ritt sich unsere Abenteurer*innen da eingelassen hatten, haben wir die wichtigsten Stichpunkte zur Reise von A wie Arepa bis Z wie Zu-Spät-Kommen hier zusammengetragen. Doch lesen Sie selbst …
A wie Arepa
Der Mensch an sich braucht nicht nur Nahrung, sondern auch Sicherheit gebende Regelmäßigkeiten im Alltag. Beides vereint sich in Perfektion in der golden strahlenden Arepa, einem immer gleichen Maisfladen, der jeden Morgen, jeden Mittag und jeden verdammten Abend zur Speise gereicht wird. Mit etwas Salz oder Sauce, falls verfügbar, durchaus annehmbar, vor allem wenn sie frittiert sind. Und etwas, auf das man sich nun wirklich immer verlassen kann. (Außerdem eine Slang-Bezeichnung für einen bestimmten Teil des weiblichen Körpers, aber das ist eine andere Geschichte.)
B wie Bogotá
Die kolumbianische Hauptstadt ist Bogotá – wir könnten nun über Einwohnerzahl und Größe informieren, aber seien wir ehrlich; Zahlen sind Schall und Rauch, oder so ähnlich, und auf Wikipedia kann das ja jede*r selbst nachschlagen. So fassen wir uns hier kurz und merken bloß an, dass es am Flughafen von Bogotá verdammt gute Crêpes gibt.
C wie Comfamiliar
Hier mal ein bisschen handfestes Hintergrundwissen: Comfamiliar ist ein kolumbianischer Sozialdienstleister für Mitarbeiter*innen von Firmen, die bei Comfamiliar Mitglied sind. Diese können Angebote etwa im Bereich medizinische Versorgung, aber auch Freizeit, Urlaub und Kultur in Anspruch nehmen. Sowohl der Parque Consotá, in dem wir gewohnt und geprobt haben, als auch das Orquesta Filarmónica Juvenil del Café selbst gehören zu Comfamiliar.
D wie Dauerbeschallung
Dass in den
Menschen Südamerikas ein Feuer brennt, das der Mehrheit der Bevölkerung im
kalten Norden abgeht, mag ein durchgenudeltes Klischee sein, aber sagen wir mal
so: Samba-Rhythmen rund um die Uhr, daran muss sich unsereins erstmal gewöhnen.
Lautsprecher auf dem gesamten Parkgelände sorgen dafür, dass man nicht nur mit beschwingter
Hüfte zur Probe marschiert tanzt, sondern macht das konzentrierte
Absolvieren ebendieser zu einer ganz besonderen Herausforderung, insbesondere,
wenn noch Betonmischer und Laubbläser mitspielen. Wer in Kolumbien geprobt hat,
kehrt mit gestählten Nerven zurück und kann überall proben.
E wie Edgar
Wie Manu, nur in Latino. Oder, etwas eloquenter ausgedrückt: Gründer und Dirigent des Orquesta Filarmónica Juvenil del Café, Organisator des Festivals, und Papa für alle. Vielleicht etwas eitler als Manu, denn er trägt mindestens drei unterschiedliche Outfits pro Tag (und irgendwie nie zweimal das gleiche!), aber ansonsten ebenso heißblütig und mit ebenso viel Swag wie unser eigener Chef.
F wie Fliegen
Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein … Rückblickend sind die Dinge natürlich immer etwas verklärt; alles lief wie geschmiert, der Service war hervorragend („Tomatensaft oder doch lieber einen Baileys? Ach was, ich nehme beides!“), die Filmauswahl gigantisch, sogar unserer dreist an Bord getragenen hundert Handgepäckstücke wegen wurden wir nie behelligt. Verblasst sind Erinnerungen an Gepäckverlust und die nagende Ungewissheit am Flughafen von Bogotá, ob wohl jemals ein Anschlussflug nach Pereira gehen würde („WIR KOMMEN NIEMALS DORT AN!!!“).
G wie Gusto, con mucho gusto
In Kolumbien wird nicht einfach mit „Bitte“ geantwortet, wenn man dankt, sondern mit „con mucho gusto“, also mit richtig viel Vergnügen! Überhaupt waren die Menschen sehr freundlich, vor allem die Mitarbeiter*innen im Park.
H wie Huhn
Über Nationalgerichte vermögen wir keine fundierten Auskünfte zu geben, aber zumindest sind wir recht sicher, dass man in Kolumbien eine Vorliebe für Hühnerfleisch hat. Huhn in allen erdenklichen Variationen stillen den Musikerhunger im Park sowohl mittags als auch abends – da kommt in zwei Wochen das eine oder andere Huhn zusammen. Hervorgehoben sei an dieser Stelle unser Kollege aus der Trompete, der sich am letzten Abend – nach zwei Wochen Hühnerfleisch satt – bei unserem ersten und einzigen Restaurantbesuch in diesem Land erstmal ein schickes ganzes Brathähnchen bestellt hat. Eine solche Standhaftigkeit ward selten gesehen.
I wie International
Wo haben wir gespielt? Beim Festival Internacional de Música. Aber so richtig international ist eine Musikveranstaltung natürlich erst dann, wenn Taktzahlen bei den Proben auf Spenglisch durchgegeben werden („Doscientos fifteen!“), der Bogen nicht mehr im Aufstrich, sondern „arriba“ geführt wird, und es nicht mehr heißt „Ruhe bitte!“, sondern „SHUT UP!!!“
J wie José (oder Juan, oder Juan José)
Wer mal den Namen des Sitznachbars vergessen hatte, nicht wusste, wie der Mensch heißt, der die Essensmarken verteilt, oder irgendwo in Not war und einfach Hilfe brauchte, tat gut daran, es mit einem herzhaften „José!“, „Juan!“ oder „Juan José!“ zu probieren, immerhin hieß jeder Zweite der kolumbianischen Kollegen so. Wirklich, kein Scherz!
K wie Krippen
An wie vielen Krippen wir in unseren zwei Wochen in Kolumbien vorbeigekommen sind? Das vermag wohl niemand mehr zu sagen. Sicher ist; Kolumbianer lieben Krippen. Lebensgroß, winzig klein, aus Styropor, aus LED-Schläuchen, in Geschäften, auf Verkehrskreiseln … Highlights: Das Jesuskind mit überwältigend vollen Drag-Queen-Wimpern und eine Krippe mit lebendigen Katzen. Miau.
L wie Lustwandeln
„Ich fahre zwei Wochen nach Kolumbien, da machen wir Musik und ich werde sehr viel am Pool liegen“, hatte ich vor Abreise noch allen erzählt. Aber nix da. Geprobt wurde schon recht viel, um es mal euphemistisch auszudrücken, Lustwandeln war also nicht drin. Aber mei, Wagner spielt sich ja auch nicht von allein.
M wie Maestro/Maestra
Maestro Dantscher war natürlich in Topform, aber nichts anderes haben wir erwartet! Ebenso: Maestra Hyerin. Die Streicherproben mit ihr waren hart (na klar!), aber gut (wie erwartet!). Am Dirigentinnenpult sorgte sie für Gänsehaut, auch wenn das nur ein extrem kurzes Intermezzo war. Das muss sie wirklich öfter machen. (Im Januar stellte der Radiosender Classic FM auf seiner Homepage noch fest, dass bloß 8 der weltweit 100 besten Dirigent*innen weiblich seien – da muss doch noch was gehen, liebe inspirierte Leserinnen!)
N wie Neue Freunde
„Music … makes the people … come together. Yeah.“ Das hat die große alte Dame des Pop ja schon vor zwanzig Jahren gesungen, und wir können nach all den Begegnungen auf dieser Reise nur bestätigen, dass Madonna damit recht hatte. Höhepunkt dieser deutsch-kolumbianischen Begegnung war wohl die Party nach unserem letzten Konzert, bei der wirklich jeder von uns auf der Tanzfläche landete und Salsa, Merengue etc. im Eilverfahren beigebracht bekam. Bei wem das nach zu viel Rum gleichgewichtstechnisch nicht mehr möglich war, der tanzte halt langsamen Walzer zu Shakira. Auch eine Erfahrung.
O wie Organisation
Die kolumbianische Art und Weise, Dinge zu organisieren, kann schon eine Herausforderung für das Nervenkostüm darstellen. Aber schafft man es, sich darauf einzulassen, dann wird irgendwann alles ganz flauschig, während man in süßer Zuversicht, dass schon alles irgendwie laufen wird, einfach dahintreibt. Sehr empfehlenswert, um mal runterzukommen.
P wie Plastik
Es war ehrlich gesagt zu Beginn nicht ganz leicht zu ertragen, dass jede Mahlzeit auf Plastik und Styropor serviert wurde. Irgendwann gewöhnt man sich aber (leider) an alles. Jenen Orchestermitgliedern, die ihr Plastikbesteck immer eingepackt und wiederverwendet haben, gebührt eine gewisse Anerkennung!
Q wie Qualität
Die musikalische Qualität der Konzerte auf einer Skala von 1 bis 10 Manus? 10 Manus, ist ja klar. (Wer mit einem besseren Stichwort für Q um die Ecke kommt, kriegt von mir ’ne Flasche Sekt.) Unabhängig davon waren die Konzerte (3 Symphoniekonzerte, 4 Weihnachtskonzerte) ein großer Spaß und ein wahres Wechselbad der Gefühle! Wir hatten wirklich alles: Wagner, Hummel und Schubert, kolumbianische Rhythmen und Hymnen, irre blinkende Weihnachtsbeleuchtung am Bühnenrand, mitklatschendes Publikum, Weihnachtsmützen, fliegende Geigen, tanzende Bässe, Tränenausbrüche, Last-Minute-Stücke, die wir zuvor nie geprobt hatten, Plastikstühle, und im Anschluss natürlich immer jede Menge Fotos („Una foto con los alemanes, por favor!“) …
R wie Reis und Rührei
Siehe „Huhn“. Oh süße Redundanz.
S wie Stadt-Land-Sexy
Auf einem 9-stündigen Flug kann man sich die Zeit schon mal ganz gut mit einer Runde Stadt-Land-Sexy vertreiben. (Wer kennt heute schon noch Flüsse?) Man muss allerdings durchaus manchmal streng mit den Mitspielenden sein, wenn es darum geht, was man gelten lässt und was nicht; sind Birnen sexy?
T wie ¡Tranquilo!
Wirklich in Kolumbien angekommen ist man erst dann, wenn man um 13 Uhr mit dem Bus zum Konzert aufbrechen soll und um 13:15 Uhr denkt „Ach, ich geh mich nochmal rasieren“. (Der Bus kommt dann um 13:45, Abfahrt ist um 14:30.) „¡Tranquilo!“ ist Spanisch und bedeutet auf Deutsch „Chill deine Base!“
U wie Uuuuusch!
Kolumbianischer Ausruf. Schreibt man wohl irgendwie anders („Oshe“?), aber ich brauchte noch einen Beitrag unter U. Also: „Uuuuusch!“ kann man immer und überall sagen, meist wohl im Sinne von „Uuuuuuuh!“. Ist klar?
V wie Verlust
An dieser Stelle wollen wir kurz innehalten und unserer Verluste gedenken. Verlust 1: Das Flugzeug von Frankfurt nach Bogotá rollt an. Manu (auf einem Fensterplatz): „Da draußen steht noch unser Gepäck.“ Verlust 2: Spaziergang durchs abendliche Pereira. „Hm. Wo ist eigentlich Julie?“ Verlust 3: Im Bus nach dem letzten Konzert. „Hm. Wo sind eigentlich Cosima und Kirsten?“
W wie Walküre
„Wenn ihr das spielt, muss das klingen, als würde die Walküre nach der Schlacht in wallendem Gewand und mit stolzem Busen auf ihrem erhabenen Ross über das Schlachtfeld reiten und die gefallenen Krieger in den Himmel führen“, war des Maestros Bitte zum Ritt der Walküren, mit dem wir unsere Konzerte eröffnet haben. Tatsächlich klang das anfangs eher wie Shakira, die nach einer langen Probe mit dem Trecker durch den Probenraum fährt und die gefallenen Musiker hinter sich herzieht. War trotzdem ein großer Spaß und sicherlich eine Erfahrung.
X wie X-Mas-Beleuchtung
Weihnachtsbeleuchtung gab es durchaus eine ganze Menge. Also eine gaaaanze Menge. Und wir reden hier nicht von besinnlichem Lichterschein, sondern von in allen Farben blinkenden Neonlichtern, die einen erblinden lassen, wenn man direkt reinguckt. Immerhin mussten wir auf Weihnachtsstimmung so nicht verzichten, was wirklich schön war. Ho Ho Ho.
Y wie Yoga
Yoga nach dem Aufstehen, ebenso wie Joggen, kann wohl den Moment am Tag hinauszögern, an dem man in der Probe dramatisch aufschreiend zusammenbricht, weil Schultern („Das Instrument!“), Rücken („Das Sitzen!“), Po („Diese Stühle!“) und Beine („Wieso die denn auch??“) so sehr schmerzen, dass man es nicht mehr aushält. Ich kann das leider nicht selbst bestätigen, da ich immer so lange geschlafen habe wie irgend möglich.
Z wie Zu-Spät-Kommen
Gehörte durchaus zum guten Ton, wenn es um den Probenbeginn ging. Wir haben uns das dann zwar auch irgendwann vorgenommen („Heute kommen wir mal zu spät zur Probe, und zwar so richtig! Mindestens 5 Minuten!“), aber natürlich nie umgesetzt. Man ist einfach zu sehr auf Pünktlichkeit konditioniert.
Insgesamt bleibt zu sagen: Das war eine außergewöhnliche Erfahrung, die wohl niemand von uns missen möchte. Bei aller Anstrengung, den langen Probentagen und der durchaus anderen Disziplin waren es zwei großartige Wochen, in denen wir tolle Menschen getroffen, viel gelernt und eine Menge Spaß gehabt haben. Es bleibt zu hoffen, dass die Kontakte, die wir zum Orquesta Filarmónica Juvenil del Café geknüpft haben, noch lange bestehen bleiben. Vielleicht entstehen daraus ja in Zukunft noch weitere gemeinsame Projekte – dufte wär das schon. (Anmerkung: Lara, die diesen Text korrekturgelesen hat, hat mir „dufte“ angestrichen. Also, für alle nach 2000 Geborenen: „dufte“ war bei uns früher das, was bei euch heute „nice“ oder „fluffig“ ist.)